Der Herzgräber von Jen Williams lag eine ganze Weile etwas verschämt in meinem Bücherregal, bis ich es jetzt doch endlich zur Hand genommen habe. Im Nachhinein habe ich mich dann wirklich geärgert, dass ich damit so lange gewartet habe. Der Herzgräber hat mich gleich von Anfang an in seinen Bann gezogen und auf eine ziemlich gruselige Achterbahnfahrt mitgenommen.
Der Herzgräber
Jen Williams
Nach dem Selbstmord ihrer Mutter muss die Journalistin Heather Evans deren Nachlass ordnen und die Wohnung auflösen. Das ist eine Aufgabe, die ohnehin niemand gerne macht, noch dazu ist Heather ratlos, warum ihre Mutter sich umgebracht hat. Für sie macht das nicht wirklich Sinn, aber wenn sie ganz ehrlich zu sich selber ist, war ihr Verhältnis schon lange nicht mehr wirklich eng. Im Laufe der Jahre hatten sie sich entfremdet. Dann findet sie beim Aufräumen eine Kiste voller Briefe des verurteilten Serienkillers Michael Reave. Er hatte zahlreiche junge Frauen bestialisch getötet und sitzt nun schon seit zwanzig Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Licht fiel durch die geöffnete Tür auf das Gesicht des Jungen, und zum ersten Mal wandte er sich nicht davon ab. Seine Arme und Beine waren zu schwer, das Band um seinen Hals zu eng, zu fest. Und es war ja auch nicht so, dass ihn das Abwenden früher auch nur einmal gerettet hätte. Der Herzgräber, S. 7
Mein Eindruck:
Gruselig, verstörend, paranoid und wahnsinnig spannend
Selbstmord
Der Herzgräber ist ein ziemlich verdrehter, gruseliger, vielschichtiger und stellenweise recht alptraumhafter Psychothriller. Die Protagonistin Heather Evans, eine ehemalige Jounalistin kehrt nach dem Selbstmord ihrer Mutter Colleen nach Hause zurück, um deren Nachlass zu regeln. Trotz ihrer schleichenden Entfremdung kann Heather nicht nachvollziehen, warum ausgerechnet ihre Mutter Suizid begangen hat. Ihr kam sie eigentlich, bei den wenigen Kontakten die sie hatten, recht zufrieden und in sich ruhend vor.
Nachlaß
Da Heather nun alle Sachen ihrer Mutter ordnen muss, stößt sie auf eine kleine Kiste mit Briefen, die ihr das Blut in den Adern gefrieren lässt. Offenbar hatte ihre Mutter jahrzehntelang mit einem berüchtigten Serienkiller eine Art Brieffreundschaft gepflegt. Dieser Mann, Michael Reave alias „The Red Wolf“, sitzt seit über zwanzig Jahren in einem Hochsicherheitsgefängnis ein und beteuert immer noch vehement seine Unschuld. Es ist schon irgendwie schwer vorstellbar, dass die eigene Mutter eifrig mit einem Serienkiller korrespondiert – finde ich jedenfalls.
Geheimnisse
Plötzlich scheint Heather von dem verborgenen zweiten Leben ihrer Mutter wie besessen zu sein und sie versucht alles darüber zu erfahren. Sie liest die wirklich sehr persönlichen Briefe von Reeves immer wieder und versucht sich vorzustellen, was in den entsprechenden Antwortbriefen ihrer Mutter gestanden hat. Da ich als Leser quasi über Heathers Schulter hinweg mit lese erfahre ich mehr und mehr über diesen Michael Reave und seine Verbindung zu Colleen. ich weiß gar nicht, ob ich an Heathers Stelle so viele geheime Dinge über das Leben meiner Mutter weit vor meiner Geburt erfahren möchte.
Kontakt
In der Zeit, als Heather noch recherchiert werden wieder junge Frauen getötet, genau nach Michael Reaves altem Muster. Heather beschließt der Polizei von den Briefen im Haus ihrer Mutter zu berichten – nicht ganz uneigennützig, denn sie möchte, dass die Polizei ihr hilft mit Reaves in Kontakt zu kommen. Da die Polizei ihrerseits hofft, Heather könnte Informationen aus Michael Reaves herauslocken, die zu dem neuen Täter führen. Tatsächlich kommt Heather mit Reaves ins Gespräch und erfährt einige schockierende Details über ihre Mutter.
Verfolgt
In dieser ganzen Zeit fühlt Heather sich beobachtet, sie sieht immer wieder Schatten im Garten und hat das Gefühl, dass jemand in der Wohnung ihrer Mutter war. Allerdings weiß ich als Leser nie so genau, was Wirklichkeit und was Fantasie ist. Als Michael sich dann weigert, sich weiter mit ihr zu treffen beschließt Heather dorthin zu gehen, wo alles begann. Sie geht mit einer Freundin an ihrer Seiter nach Fiddler’s Mill, einer Art Hippie-Kommune in der sowohl ihre Mutter als auch Michael Reave eine Zeit lang gelebt haben. Dort erfährt sie Dinge, die sie vielleicht lieber nie erfahren hätte.
Erzählstil
Erzählt wird die ganze Geschichte immer abwechselnd in der Gegenwart und in der Vergangenheit – vor allem in Michael Reaves Vergangenheit. Obwohl Michael ja konsequent behauptet das er unschuldig ist, deuten die Rückblenden seiner Handlungen auf die möglichen Anfänge auf ein psychopathisches Verhalten hin – jedenfalls soweit ich als Krimifan das beurteilen kann.All das zusammen erzeugt bei mir eine düstere, dunkle und beunruhigende Atmosphäre, der ich mich irgendwie nicht entziehen kann – ich werde immer weiter in die Geschehnisse hineingezogen und genieße einfach mal den Grusel dabei.
Mein Fazit:
Der Herzgräber von Jen Williams ist ein sehr dunkler und etwas verdrehter Thriller – irgendwie halt genauso, wie ich mir die verdrehten Gehirnwindungen eines Serienkillers vorstelle. Auch was Wendungen und Schockmomente angeht wurde mir viel geboten und die Auflösung am Ende habe ich so nicht kommen sehen. Echt empfehlenswert.
- Titel: Der Herzgräber
- Originaltitel: A Dark and Secret Place
- Autor: Jen Williams
- Übersetzung: Irene Eisenhut
- Verlag: Fischer Verlage
- Genre: Thriller
- Erscheinungsjahr: 2021
- ISBN: 978-3-596-00176-7
- Form: TB, 384 Seiten
- Preis: 15,00 €
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