Der zweite Schlaf von Robert Harris habe ich mir auf Empfehlung einer Freundin gekauft und habe es dann dummerweise eine ganze Weile hier rumliegen lassen. Ich habe im Moment mein ganz persönliches Zeitmanagement einfach nicht im Griff – aber was solls. Im Moment finde ich den ganz normalen Alltag ohnehin schon anstrengend und nervig genug, da ärgere ich mich nicht auch noch über sowas…
Der zweite Schlaf
Robert Harris
Es ist ein trostloser Abend im Jahr 1468 als der junge Priester Fairfax müde in Richtung des Dorfes Addicott St.George wandert. Er soll dort die Beerdigung des unlängst dort verstorbenen Paters Thomas Lacy im Auftrag des Bischofs von Exeter überwachen. Fairfax erwartet sich einen kurzen Aufenthalt dort, aber als er in dem Dorf eintrifft, kommen ihm Gerüchte über Mord und Häresie zu Ohren. In Pater Lacys Arbeitszimmer entdeckt er dann auch jede Menge verbotene Artefakt – Münzen, Scherben, Plastikspielzeug. Hat seine Leidenschaft für die verbotenen Dinge Einfluss auf seinen mysteriösen Tod gehabt?
Am Spätnachmittag des neunten Tages im April des Jahres Unseres Auferstandenen Herrn , einem Dienstag, suchte ein einsamer Reiter seinen Weg. Sollten Sorgen die Züge des jungen Mannes verdunkelt haben, so hatte er zugegebenermaßen allen Grund dazu. Seit mehr als einer Stunde war er in der wilden, altertümlichen Moorlandschaft im Südwesten Englands, die seit den Tagen der Sachsen als Wessex bekannt war, keiner Menschenseele mehr begegnet. Es würde bald dämmern, und wer nach Beginn der Sperrstunde im Freien aufgegriffen wurde, lief Gefahr, die Nacht im Kerker zu verbringen. Der zweite Schlaf, S. 11
Mein Eindruck:
Verloren in Zeit und Raum
Der Sittich
Während des Lesen habe ich eine ganze Weile gebraucht, bis mir klar wurde, was mich unbewusst die ganze Zeit störte. Ein Sittich, der Fairfax unterwegs erschreckte hat, hat im tatsächlich mittelalterlichen England gar nichts zu suchen und auch die Standuhr im Pfarrhaus passte nicht zum Jahr 1468. Die beschriebenen verbotenen Gegenstände passen auch alle nicht wirklich in die angegeben Zeit und machten mich stutzig.
Katastrophe
Was wie der Beginn eines spätmittelalterlichen Romans beginnt, ist in Wirklichkeit gar keiner keiner. Es ist das erschreckende Szenario nach einem nicht genauer beschrieben, schrecklichen Ereignis. Der Teil der Menschheit der die Katastrophe, die sie wohl selbst verursacht haben, überlebt hat, hat alles was passiert ist auf eine Art “göttliche Vergeltung” geschoben und eine dazu passende neue Ordnung installiert.
Auf Anfang
Die Kalender wurden schlicht zurückgesetzt, das einzige Vokabular, das erlaubt ist, ist das, was in der King James Bibel erscheint, alles wird so gehandhabt, wie die Kirche es im Mittelalter schon mal vorgesehen hatte und jede Neugier auf die guten alten Zeiten ist strengstens verboten. Aber wie alles, was strengstens verboten ist ist diese Neugier natürlich besonders reizvoll – wie gut, dass der Mensch an sich sich offenbar nicht wirklich geändert hat.
Antiquare
Diese neugierigen und heimlichen Antiquare der Zeit, zu denen auch der Eingangs genannte Pater Thomas Lacy gehörte, sammeln alles, was sie über die sogenannten alten Zeiten finden können und wissen z.B. das es Flugreisen gab, rätseln aber darüber, was wohl “die Cloud” war. Bei einigen, sehr bekannten Konstruktionen, die zum Teil erhalten blieben, vermutet man, dass hier Riesen am Werk waren. Gerade in diesen Abschnitten blitzt immer wieder eine große Portion Humor durch.
Roter Faden
Leider scheint Robert Harris gelegentlich selber etwas den roten Faden seiner Geschichte zu verlieren. Die Schilderungen seiner neuen und gleichzeitig alten Welt ist so faszinierend und oft so detailreich, dass für den ganz am Anfang erwähnten unklaren Tod des armen Paters und die Aufklärung desselben einfach gar kein Platz mehr bleibt. Auch viele Charaktere tauchen auf, machen irgendein Fass auf – und verschwinden dann irgendwie einfach irgendwo hin, ohne dass ich als Leser weiß, was passiert ist.
Ursachenforschung
Für mich kommt dann noch der Wunsch hinzu, genauer herauszufinden, was für eine Katastrophe das Leben des 21. Jahrhunderts ausgelöscht hat. Nuklearer Holocaust, Klimawandel, Sonnenflecken, ein Pandemievirus, ein pandemischer Computervirus oder irgendein anderer der üblichen Verdächtigen? Trotz all dieser nicht ganz schlüssigen Dinge hat mir das Buch aber trotzdem super gefallen – mit ein bisschen Großzügigkeit lässt es sich sogar auch ganz wunderbar genießen.
Mein Fazit:
Der zweite Schlaf von Robert Harris ist ein Roman, genauer gesagt eine Dystopie. Die neue Welt, wie Harris sie sich ausgedacht hat, fand ich faszinierend und beeindruckend – allerdings ging der rote Faden irgendwann verloren. Aber das hat mich erstuanlicherweise gar nicht gestört …
- Titel: Der zweite Schlaf
- Originaltitel: The Second Sleep
- Autor: Robert Harris
- Übersetzung: Wolfgang Müller
- Verlag: Heyne Verlag
- Genre: Roman, Dystopie
- Erscheinungsjahr: 2020
- ISBN: 978-3-453-42478-4
- Form: TB, 431 Seiten
- Preis: 10,99 €