Ein Schritt zu weit von Louise Doughty erreichte mich in einer unserer neuesten Hitzewellen. Nachdem ich mich letzte Woche ein bisschen gefühlt habe, als ob ich schmelzen würde, dachte ich würde bei dieser Hitze kein Buch gelesen bekommen – aber weit gefehlt. Für die meisten Dinge war es schlicht zu heiß, also blieb mir gar nichts anderes übrig, als mich mit einem Buch in eine halbwegs kühle Ecke zu verziehen und mich möglichst nicht zu bewegen Naja, umblättern ging so gerade noch.
Ein Schritt zu weit
Louise Doughty
Yvonne Carmichael ist eine gestandene, erfolgreiche Frau. Sie hat zwei erwachsene Kinder, einen Ehemann den sie liebt, ein Häuschen am Stadtrand von London, einen Job in der Forschung der ihr Spaß macht – sie führt so etwas wie ein Bilderbuch-Leben. Dann trifft sie unvermutet den geheimnisvollen Mr. X, beginnt eine leidenschaftliche Sex-Affäre mit ihm und mit einem Mal ist nichts mehr wie es war und alles gerät aus den Fugen.
In Gedanken ging ich durch, was passiert war, und mit jedem Mal kam es mir absurder vor. Ein Schritt zu weit, S. 48
Mein Eindruck:
Ein kurzer Moment verändert alles
Der Anfang
Die Geschichte beginnt mit einer Momentaufnahme einer Gerichtsverhandlung und führt uns dann in Yvonnes Erinnerungen dahin, wie all das begann. Nichts wird beschönigt, nichts wird verheimlicht und an Hand von Yvonnes Erinnerungen führt mich Louise Doughty tief in die Seele und die Gedanken der Protagonistin.
Zufällige Begegnung
Yvonne läuft ihrem Mr.X eher zufällig über den Weg, lässt sich auf ein Gespräch ein und folgt ihm in die ihr eher unbekannten Gefilde ihrer Arbeitsstätte. Sie findet ihn geheimnisvoll, anziehend und spannend und ehe sie sich versieht, hat sie Sex mit ihm in der Krypta einer Kapelle. Schnell, ungewöhnlich und trotzdem gut – oder vielleicht deswegen gut. So genau kann sie das gar nicht sagen, aber in Zukunft trifft sie sich immer wieder mit ihm und es endet meist mit einem Quickie an sehr unüblichen Orten.
Sex und SMS
Außer ihren kleinen Abenteuern verbindet die beiden so gut wie nichts miteinander und trotzdem kann Yvonne sich seiner Anziehungskraft nicht entziehen. Heiße SMS-Gespräche über Prepaid-Handys und gelegentlicher, schneller Sex sind eigentlich alles was die beiden haben und trotzdem erzählt sie ausgerechnet ihm, der so gut wie nichts von sich preisgibt, nicht einmal seinen Namen, dass ein Kollege sie nach einer Fakultätsfeier brutal vergewaltigt hat.
Vergewaltigt
Da die Geschichte komplett aus Yvonnes Sicht erzählt wird und die Vergewaltigung ein zentraler Punkt ist, hat mich diese Schilderung eigentlich am meisten betroffen gemacht. Ich erlebte beinahe hautnah mit, wie sie sich fühlte, hilflos ausgeliefert, erniedrigt und jeder Menschlichkeit beraubt. Ihre Gründe es niemandem, außer Mr. X, zu erzählen, erschienen mir irgendwie logisch und nachvollziehbar.
Die Verhandlung
Der zweite Teil des Buches handelt fast ausschließlich von der Gerichtsverhandlung und erst hier bemerkt Yvonne nach und nach, dass ihr geheimnisvoller Mr. X nicht das ist, was er ihr vorgespielt hat. Sie erfährt auch erst durch die Verhandlung seinen tatsächlichen, vollen Namen und das nicht alles was so zufällig aussah auch zufällig war. Sie muss hier vor allem vor sich selber eingestehen, dass sie sich hat einlullen lassen und dass sie, vor allem moralisch, nicht so ganz unschuldig an all dem ist, was geschehen ist.
Analytisch und einfühlsam
Normalerweise bin ich kein Fan von der Ich-Perspektive in Büchern, in Ein Schritt zu weit war das aber sinnvoll und notwendig, da es hauptsächlich um das Gefühlsleben der Protagonistin geht. Obwohl die Geschichte eigentlich sehr analytisch erzählt ist, ist sie trotzdem sehr eindringlich und warm und ich konnte mich recht gut in Yvonne hineinversetzen. Stellenweise hat mich das Buch so gefesselt, dass ich es kaum aus der Hand legen wollte und wenn ich es doch weggelegt habe, habe ich mich noch lange gedanklich mit den Figuren beschäftigt.
Mein Fazit:
Ein Schritt zu weit von Louise Doughty ist ein Buch in dem es um Ehebruch, Vergewaltigung, Grenzüberschreitungen, Loyalität und Vertrauen geht. Es ist fesselnd geschrieben und trotzdem nicht reißerisch, grade das machte es für mich zu einem ganz besonderem Buch, dass mir sicher noch lange in Erinnerung bleibt.
- Titel: Ein Schritt zu weit
- Originaltitel: Apple Tree Yard
- Autor: Louise Doughty
- Übersetzer/in: Astrid Arz
- Verlag: C. Bertelsmann
- Genre: Roman/Krimi
- Erscheinungsjahr: 2014
- ISBN: 978-3-570-10195-7
- Form: Paperback, 384 Seiten
- Preis: 14,99 €
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